Who Cares - oder Die Heldinnen des Alltags


Ich weiß, im Moment gehts eigentlich nur um Corona, es gibt kein anderes Thema, das die Leute wirklich interessiert. Mir gehts ja nicht anders. Aber die Welt bleibt nicht stehen, auch wenn es uns gerade manchmal so vorkommt. Und all die anderen Probleme verschwinden ja nicht. Manche werden sogar in der Coronakrise besonders deutlich sichtbar – zum Beispiel die ungelöste Frage, wer in unserer Gesellschaft eigentlich die Carearbeit macht, und zu welchen Bedingungen.



Die Frage steht nach meinem Gefühl wie ein Elefant im Raum, wird aber immer noch nicht wirklich in all ihrer Größe wahrgenommen. Zum Beispiel jetzt wieder anlässlich des Equal Pay Day am 17. März, da gab es die ewig gleiche Litanei zu hören: Frauen sind immer noch nicht gleichberechtigt am Arbeitsmarkt, Frauen verdienen weniger als Männer, Frauen arbeiten viel zu selten in Vollzeit. Das muss anders werden! Und wie? Die ewig gleiche Antwort: durch mehr Betreuungsangebote für Kinder. Diese Botschaft verkünden Parteien, Gleichstellungsbeauftragte und Wirtschaftsverbände in seltener Einigkeit.



Es ändert sich aber nichts, der Gender Pay Gap bleibt mehr oder weniger gleich, der Anteil der Frauen, die Teilzeit arbeiten auch. Kein Wunder. Kein Wunder bei einer Frauenpolitik, die sich lange Zeit fast ausschließlich auf Gleichstellungspolitik konzentriert hat. Chancengleichheit im Beruf, Lohn- und Einkommensgerechtigkeit, mehr Frauen in Führungspositionen und in den Parlamenten, mehr Partizipation in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, das waren die Ziele, die diese Politik verfolgt hat.



Nun sind diese Ziele ja nicht verwerflich, im Gegenteil. Sie sind nur nicht gerade revolutionär. Sie sind zahm im Vergleich zu dem, was Feminismus mal war (und natürlich auch immer noch ist, nur nicht unbedingt im Mainstream). Als es noch um Befreiung ging, nicht nur von den Einschränkungen der Frauenrolle. Um Möglichkeiten eines ganz anderen Lebens, einer ganz anderen Gesellschaft. Nicht nur darum, ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen, sondern darum, einen ganz anderen Kuchen zu backen.



Und gerade weil sie so zahm ist, kann reine Gleichstellungspolitik letztlich gar nicht funktionieren. Ihre Ziele sind unrealistisch angesichts der Logik des Systems, das sie nicht wirklich in Frage stellen. Das System, damit meine ich die kapitalistische, neoliberale Wirtschaftsordnung einerseits, patriarchalische Strukturen und Denkmuster andererseits. Beides zusammen führt dazu, dass Frauen nach wie vor zuständig sind für all die Arbeit, die nicht Erwerbsarbeit ist. Für die ganze Care-Arbeit also. Frauen erledigen den Löwenanteil dieser Arbeit, unbezahlt versteht sich. Die Hilfsorganisation Oxfam hat ausgerechnet, dass Frauen und Mädchen weltweit mehr als zwölf Milliarden unbezahlte Stunden Arbeit pro Jahr erledigen. Wenn sie dafür bezahlt würden, und sei es nur nach Mindestlohn, würde das mehr als elf Billionen Dollar im Jahr kosten.



Solange das so ist, ist es natürlich unmöglich, dass Frauen genauso viel Zeit und Energie in die Erwerbsarbeit stecken wie Männer. Frauen sind stark, klar, aber Übermenschen sind sie normalerweise nicht. Es ist also wenig überraschend, dass ein hoher Anteil der Frauen, die Kinder haben, ihre Arbeitszeit im Job reduzieren, um beides unter einen Hut zu kriegen. So lösen sie das berühmte Vereinbarkeitsproblem, das nach wie vor in erster Linie als Frauenproblem gesehen wird. Und werden dafür noch gescholten. Denn inzwischen ist es ja so: das alte Modell, Mann ernährt Familie mit seinem Job, Frau kümmert sich um ihn, um die Kinder und den Haushalt, ist komplett out. Vollzeit für alle ist das neue Ideal, da sind sich mal wieder die Wirtschaft und die institutionelle Frauenpolitik einig, und für viele ist sie auch eine Notwendigkeit, um finanziell über die Runden zu kommen.



Nur, wie soll das eigentlich gehen? Was hat das für Konsequenzen, wenn alle 40 Stunden arbeiten gehen? Denn die Fürsorgearbeit löst sich ja deshalb nicht in Luft auf. Wer kümmert sich um die Kinder? Wer kauft ein, macht Frühstück, saugt Staub, kämmt die Haare, macht die Wäsche, besorgt Geburtstagsgeschenke, bringt Kinder zum Sport, wer liest vor, hört zu, tröstet? Wer ruft die alten Eltern an, wer besucht die Tante im Krankenhaus, wer trinkt mit dem einsamen alten Nachbarn Kaffee, wer ist da für Freunde, denen es nicht gut geht? Wer soll die Zeit für all das aufbringen, wenn die Erwerbsarbeit schon soviel Zeit frisst?



Die Antworten sind mager. Klar, es gibt inzwischen Elternzeit und sogar Pflegezeit, auch das Recht, nach einer Teilzeitphase wieder Vollzeit zu arbeiten, das ist besser als nichts. Aber sonst? Mehr Betreuungsangebote, heißt es unisono. Ausweitung der Kitazeiten. Gerade erst hat ein Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung herausgefunden, dass alles eigentlich ganz einfach ist: mehr Ganztagsbetreuung für Kinder führt zu mehr erwerbstätigen Müttern, die dann mit ihren Steuern den Ausbau jener Ganztagsbetreuung refinanzieren würden. Super, dann wäre ja alles geklärt. Als ließe sie sich einfach komplett wegorganisieren, die ganze Care-Arbeit, die Sorge für Kinder, für Kranke, Alte, für sich selbst und die Menschen um einen herum. Hauptsache, sie stört nicht bei dem, was unhinterfragt als das Wichtigste gilt: der Berufsarbeit. Hauptsache, alle stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, am besten unbegrenzt und völlig flexibel, total belastbar und stets leistungsfähig und -willig.



Aber wollen wir so wirklich leben? Können wir so überhaupt leben? Und wenn nicht, wer zahlt den Preis für diese Konstruktion?



Es wird Zeit, dass sich etwas ändert. Dass wir radikalere Forderungen stellen, ganz neu darüber nachdenken, wie wir uns eine gerechtere Gesellschaft und ein gutes Leben für alle eigentlich vorstellen. Zum Glück ist da in den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen. Das Thema Sorgearbeit ist wieder auf der politischen Agenda, bei vielen feministischen Gruppen, die sich 2014 zum Netzwerk Care Revolution zusammengeschlossen haben. Seit 2016 gibt es außerdem den Equal Care Day am 29. Februar (Schalttag! Symbolik! Findet in Nicht-Schaltjahren am 1. März statt), der auf die unfaire Verteilung von Fürsorgearbeit aufmerksam machen soll. Es tut sich also etwas.



Und es muss sich etwas tun. Denn mit den bisherigen Ansätzen ist das Problem eindeutig nicht zu lösen. Solange an der grundsätzlichen geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung nicht gerüttelt wird, die da besagt, erstens ist Sorgearbeit Frauenarbeit, und zweitens ist sie (genau deswegen) nichts wert, solange bleibt alles beim Alten. Und das Perfide ist: das ist im Sinne des Patriarchats auch durchaus so gewollt. Und die Frauen baden es aus. Und werden dafür auch noch permanent kritisiert.



Denn es ist doch so: die ganze Geschichte mit der „Vereinbarkeit“ ist eine Lüge, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Zum einen auf der bereits erwähnten: die Sorgearbeit muss gemacht werden, sie wird von Frauen gemacht, die machen dafür weniger Erwerbsarbeit, deshalb verdienen sie weniger Geld und kriegen weniger Rente, sind am Ende also die Dummen. Zum anderen auf der Ebene der Rollenerwartungen. Hier sind Frauen der klassischen Double-Bind-Situation ausgesetzt, die Menschen bekanntlich in den Wahnsinn treiben kann. Einerseits wird ihnen seit geraumer Zeit gepredigt: seid wie die Männer! Strengt euch mehr an, seid ehrgeizig, kämpferisch, sprecht mit tieferen Stimmen und was weiß ich noch. Andererseits, und das ist das Perfide, gilt natürlich die alte patriarchalische Botschaft noch: seid richtige Frauen! Seid lieb! Selbstlos, mitfühlend, fürsorglich, freundlich. Immer für andere da. Mit anderen Worten: kümmert euch. Um Kinder. Um Männer. Und wehe, wenn nicht! Frauen „bekommen Schwierigkeiten, wenn sie nicht genug geben“, schreibt Kate Manne in „Down Girl“ über die Logik der Misogynie, wenn sie die „emotionale und reproduktive Arbeit“ nicht tun, die als ihre „natürliche“ Pflicht gesehen wird.



Das alles sollten wir uns nicht länger gefallen lassen. Wir sollten uns nicht länger abspeisen lassen mit Maßnahmen, die im Grunde nichts ändern. Was wir brauchen, ist ein ganz neues Denken. Vielleicht ist ja im Moment, in Zeiten der Krise, sogar ein ganz guter Zeitpunkt dafür. Denn jetzt wird deutlicher denn je: ohne Care-Arbeit geht gar nichts, ohne sie bricht die Gesellschaft zusammen. Care-Arbeit geht alle an und das muss auch politisch endlich deutlich werden.



Es gibt einige Hebel, wirkliche Veränderungen in Gang zu setzen. Das fängt an mit einem ganz anderen Wirtschaftsverständnis, mit einem Rechenmodell, das die ganze unbezahlte Arbeit, die Erwerbsökonomie erst möglich macht, sichtbar macht. Eine Alternative zum Bruttoinlandsprodukt also. Ganz wichtig wäre meiner Meinung nach eine ernsthafte Diskussion über eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit: eine 20-Stunden-Woche als neue Vollzeit für alle. Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte ein möglicher Hebel sein, allerdings nur in Kombination mit anderen Maßnahmen. Unbedingt muss auch endlich das passieren, worüber schon seit Jahren geredet wird: eine Aufwertung all der Berufe, ohne die eine Gesellschaft nicht bestehen kann, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, und zwar nicht nur ideell, sondern ganz konkret finanziell. Ein kleiner, aber wirksamer Anfang zur gerechteren Aufteilung der Familienarbeit könnte gemacht werden, indem die Elternzeit paritätisch gestaltet wird: jeder Elternteil kriegt gleich viele Monate.



Auf jeden Fall müssen wir endlich anfangen, wir dürfen uns nicht mehr abspeisen lassen mit den ewig gleichen Rezepten. Vielleicht ist so eine Zeit der Krise ja auch für solche Überlegungen gut.



PS: Womöglich bin ich da zu optimistisch. Gestern Abend in den Tagesthemen, ein Bericht über die „Helden des Alltags“, die „den Laden am Laufen halten“: ein Busfahrer, ein Filialleiter eines Drogeriemarkts, ein Altenpfleger. Richtig gelesen: alles Männer. Es sei „Zufall“ gewesen, sagte Ingo Zamperoni in der Abmoderation, dass die Autorin nur Männer getroffen habe. Ah ja. Im Bereich Einzelhandel und Altenpflege arbeiten überproportional viele Frauen, das sind klassische Frauenjobs. Und dann das? Ich bin tatsächlich fassungslos, dass das heute noch passiert. In einer seriösen Nachrichtensendung. Dass Frauen und ihre Arbeit derart unsichtbar gemacht werden. Natürlich, meinte Zamperoni dann noch, gelte der Dank auch allen Heldinnen des Alltags. Frauen sind also mit gemeint, wie schön. Ohne Frauen würde das ganze System zusammenbrechen, verdammt nochmal, wann geht das endlich in die Köpfe!


Kommentare

  1. prache, Bezüge und Vergleiche sind gut verständlich. Formulierungen bieten eine erfrischende Lektüre.
    Auf der Suche nach Textaussagen, denen ich widersprechen könnte, war ich erfolglos. Wie es wohl anderen Leser*innen geht?

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