Who Cares II - oder Frauenarbeit in der Krise



Jetzt ist ihre Arbeit also auf einmal richtig wichtig. Systemrelevant. Jetzt, in der Krise, gelten Menschen, die in Pflegeberufen arbeiten, als HeldInnen des Alltags, werden beklatscht und in den Tagesthemen porträtiert. Jetzt, in der Krise, ist auf einmal sichtbar geworden, wie sehr wir alle auf ihre Arbeit angewiesen sind. Jetzt, wo wir angefangen haben, darüber zu reden, was wirklich wichtig ist, haben sich die Koordinaten etwas verschoben. Jetzt, wo alle genauer hinsehen, wird auf einmal auch klar, dass in vielen systemrelevanten Berufen mehrheitlich Frauen arbeiten: in der Kranken- und Altenpflege, im Einzelhandel, in den Kitas.

Und noch etwas wird klar, besser gesagt, es wird endlich von einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen, denn klar ist es natürlich schon lange, es hat nur kaum jemanden interessiert: die Arbeit in diesen Frauenberufen ist schlecht bezahlt, und sie findet unter zum Teil unzumutbaren Bedingungen statt. Dass eine Fachkraft in der Autoindustrie fast doppelt soviel verdienen kann wie eine examinierte Altenpflegerin, das war bisher kein Grund zur Empörung, das war normal. Dass Krankenschwestern wegen äußerst knapper Personalbesetzung ständig am Limit arbeiten, dass deshalb viele resignieren und den Beruf gar nicht mehr oder nur noch in Teilzeit ertragen, auch das war normal. Bedauerlich, ja, aber normal.

Als normal wurde aber bisher nicht nur angesehen, dass Frauen in schlecht bezahlten Berufen zu schlechten Bedingungen gesellschaftlich enorm wichtige Arbeit leisten. Sondern auch, dass sie zuhause, in der Familie, gesellschaftlich ebenfalls enorm wichtige Arbeit ganz ohne Bezahlung leisten. Die Betreuung von Kindern, die Pflege von Angehörigen, das Kümmern um Haushalt, Mahlzeiten, Wohlbefinden aller Familienmitglieder wird hauptsächlich von Frauen erledigt. Auch diese Arbeit ist natürlich systemrelevant. Ohne Care ist alles nichts, ohne dass diese Arbeit geleistet wird, kann keine andere Arbeit geleistet werden, kann eine Gesellschaft nicht funktionieren.

Dass das so ist, scheint allerdings auch jetzt noch nicht überall angekommen zu sein. Bei der Leopoldina zum Beispiel, der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Das Gremium, ausgewogen besetzt mit zwei Frauen und 24 Männern, befand in seiner Stellungnahme zu Corona, dass Kitas und Horte bis zum Sommer geschlossen bleiben sollten. Welche Konsequenzen das für die Familien hat und wie die Politik damit umgehen könnte – da blieb der Text mit einem kurzen Hinweis auf dann wohl nötige Unterstützung vage.

Trotzdem hat die Politik die Empfehlung zunächst übernommen. Erst nach heftiger Kritik sind inzwischen doch konkrete Vorschläge entwickelt worden, wie die Notbetreuung stufenweise wieder bis zum Normalbetrieb gesteigert werden kann. Erstmal für Gruppen, für die eine längere Kitaschließung besonders dramatische Folgen haben würde, Kinder von Alleinerziehenden oder aus schwierigen Familienverhältnissen etwa. Es ist wichtig, sich um die besonders Bedürftigen zuerst zu kümmern, keine Frage. Das Problem ist nur: allen anderen droht, je länger der Ausnahmezustand dauert, ein heftiger Rückfall in alte Rollenmuster. Denn stillschweigend wird davon ausgegangen, dass die Familien das Betreuungsproblem schon irgendwie lösen. Und wie, das ist ja wohl klar: die Frauen werden sich kümmern. Haben sie ja immer gemacht. Ist ja normal.

Und genau so passiert es jetzt. Wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, sind es vorwiegend die Frauen, die jetzt wegen der Kita- und Schulschließungen ihre Arbeitszeit reduzieren und die Kinder betreuen. Was Wunder. War es doch vorher schon so, dass bei den meisten heterosexuellen Paaren mit Kindern die Rollen immer noch klar verteilt waren: der Mann arbeitet Vollzeit, verdient mehr Geld, ist für das Familieneinkommen verantwortlich. Die Frau arbeitet Teilzeit oder in Minijobs und ist ansonsten zuständig für die Care-Arbeit. Ist doch klar, wer jetzt in der Krise beruflich zurückstecken muss, oder? Ein Corona-Elterngeld, wie von den Grünen vorgeschlagen, könnte da womöglich wie eine Art Herdprämie wirken, solange sie nicht an paritätische Vorgaben gekoppelt ist.



Schlecht bezahlt in den Pflegeberufen oder unbezahlt zu Hause: Frauen halten den Laden mit systemrelevanter Arbeit am Laufen. Jetzt, in der Krise, wird die Arbeit von Kranken- und Altenpflegerinnen gerade zumindest verbal anerkannt, und in der Altenpflege gibt es sogar einen (einmaligen!) Bonus von 1500 Euro und eine Erhöhung der Mindestlöhne, besser als nichts, aber bei weitem nicht genug. Und die Arbeit zu Hause wird zwar mal wieder als kostenlose, unerschöpfliche Reserve behandelt, dagegen regt sich aber immerhin doch hier und da Protest, in den sozialen Medien, aber auch in den Printmedien gibt es den einen oder anderen kritischen Kommentar zum Thema.

Es gibt also beides in der Krise: es gibt die Gefahr eines gesellschaftspolitischen Rückschritts in Bezug auf das berüchtigte Problem der „Vereinbarkeit“ – so warnt der Deutsche Frauenrat vor einer „Rolle rückwärts in die 50er Jahre“ - und einer womöglich nur kurzfristig aufflackernden Wertschätzung von Pflegearbeit, die sich in Applaus und wohlfeilen Worten erschöpft, um sich nach der Krise ganz schnell als folgenlos bleibender Hype herauszustellen.

Und es gibt eine große Chance. Die Chance, dass die Fragen, die sich in der Krise so massiv stellen, weiter wirken. Fragen danach, was wirklich wichtig ist, worauf wir nicht verzichten können oder wollen, welche Arbeit lebensnotwendig ist, wer diese Arbeit macht, wie viel uns diese Arbeit wert ist. Es gibt die Chance, dass diese Fragen bleiben, dass die Debatte über sie kein durch die Krise entfachtes Strohfeuer bleibt, sondern der Beginn eines tiefgreifenden Wandels.

Aber um zu verhindern, das all diese Fragen wieder in den Hintergrund rutschen, sobald ein bisschen so etwas wie „Normalität“ zurückkehrt, müssen wir jetzt kämpfen. Laut werden. Nicht nachlassen. Uns an das letztjährige Verdi-Motto zum 8. März erinnern: Wenn wir Frauen die Arbeit niederlegen, steht die Welt still.

Wir müssen kämpfen für höhere Löhne in der Pflege, in den Kitas, im Einzelhandel. Für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. Für ein Gesundheitssystem, das nicht profitorientiert ist. Wir müssten kämpfen für eine gerechtere Verteilung der unbezahlten Fürsorgearbeit, für eine höhere Grundsicherung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen, für eine gesetzlich geregelte Erwerbsarbeitszeit von 20 oder 30 Stunden, für Optionszeitmodelle, die finanziell abgesicherte Unterbrechungen der Erwerbsarbeit erlauben, damit allen Menschen Zeit bliebe für ihre Fürsorgearbeit.

Wir müssen kämpfen, damit nicht dasselbe passiert wie immer, wie nach der Finanzkrise 2008: kaum ist das schlimmste vorbei, schieben sich wieder die üblichen mächtigen Lobbygruppen in den Vordergrund und verlangen lautstark nach Aufmerksamkeit und staatlicher Hilfe. Wir müssen kämpfen dafür, dass Steuermittel jetzt so eingesetzt werden, dass sie gleichermaßen bei den Frauen wie bei den Männern ankommen. Dass es nicht wieder „Subventionen nur für Männer“ gibt, wie die Taz mal einen Artikel von Ulrike Hermann betitelte. Da ging es um die Pleite der Supermarktkette „Real“ und den Verlust von sehr vielen Frauenarbeitsplätzen, was die Politik nicht weiter interessierte, im Vergleich zu dem gigantischen Einsatz von Staatsgeldern für die „Männerindustrie“ Kohle. Jetzt ist es die Autoindustrie, die nach Staatshilfe verlangt, und gleichzeitig den Verzicht auf Dividendenausschüttungen und Boni nur als „letztes Mittel“ erwägt.

Wir müssen dagegen kämpfen, dass in der Krisenpolitik wieder die alten Muster durchbrechen. Dass die alten Rollenverteilungen die Maßnahmen bestimmen. Dass dem Facharbeiter, männlich, bereitwillig Rettungsschirme aufgespannt werden, weil er ja schließlich eine Familie zu ernähren hat. Während die Frauen in den typischen Frauenberufen das Nachsehen haben.

Und dafür müssen wir alle kämpfen. Nicht nur die Frauen, vor allem nicht nur die Frauen, die in der Pflege arbeiten. Denn denen fällt das offensichtlich schwer. Eigentlich wären sie in einer sehr guten Verhandlungsposition, denn sie sind begehrt, es gibt einen deutlichen Fachkräftemangel in der Pflege. Aber die meisten kämpfen nicht lautstark für ihre Interessen, die meisten sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Und das ist kein Zufall. Das hat etwas damit zu tun, dass die Arbeit in der Kranken- und Altenpflege, aller Professionalisierung zum Trotz, immer noch in der Tradition aufopferungsvoller weiblicher Fürsorge wurzelt. Genau wie die Sorgearbeit in der Familie.

Diese Tradition, nach der Frauen quasi von Natur dazu bestimmt sein sollten, sich liebevoll um andere zu kümmern, ist ein mächtiger Gegner, wenn es darum geht, eigene Interessen zu erkennen und durchzusetzen. Gerade bei Frauen in den Pflegeberufen ist die diese Hürde besonders hoch. Hinzu kommt, dass sie bei jedem Arbeitskampf unweigerlich in ein scher erträgliches Dilemma kämen: für einen Streik, immer noch das wirksamste Druckmittel, ArbeitnehmerInneninteressen durchzusetzen, müssten sie die ihnen anvertrauten Patienten oder Pflegebedürftigen im Stich lassen.

Wir müssen also alle kämpfen, alle, die ein Interesse daran haben, dass die Frage danach, was wirklich wichtig ist, nicht so schnell wieder in den Hintergrund tritt. Alle, die ein Interesse daran haben, nicht weiter auf schlechtbezahlte und unbezahlte Arbeit zu setzen, um das System am Laufen zu halten. Alle, die den Ausnahmezustand der Krise auch als Chance sehen für nachhaltige Veränderungen.



Kommentare

  1. Danke für den kämpferischen Artikel! Bin gerade sehr am Nachdenken, wo mein Platz im Kampf sein könnte, wo und wie ich etwas bewirken kann.

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  2. "Wir müssen kämpfen" - das ist richtig und Solidarität ist sehr wichtig. Aber vor allem müssen die selbst Betroffenen für ihre ureigensten Interessen kämpfen, sonst wird's nichts.
    Das zeigt zum Beispiel der Erzieherinnen-Streik (ich schreibe hier bewusst nicht-gegendert!!) im Frühjahr 2019. Lange Jahre von Bitten und Betteln und gut begründeten Aufrufen haben zu nichts geführt, obwohl auch da die prekäre Lage allen bekannt war. Erst der Streik hat allen vor Augen geführt, wie "systemrelevant" ihre Arbeit ist, und zu - längst nicht ausreichenden - Verbesserungen geführt, noch vor Corona.
    Selbst (männliche) Wirtschaftslogik scheint nicht zu funktionieren. Oder wurde bisher etwa der "volkswirtschaftliche Schaden" berücksichtigt, der jedes Jahr entsteht, weil teuer ausgebildete Fachkräfte wegen der schlechten Arbeitsbedingungen nach wenigen Jahren den Pflege- und Erziehungsbereich verlassen oder aber frühzeitig krank ausscheiden müssen?
    Auch das ist schon lange bekannt... Aber ohne den Druck der Betroffenen wird nichts passieren.

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  3. Das mit dem "volkswirtschaftlichen Schaden" ist ein interessantes Argument, von der Seite habe ich das noch gar nicht gesehen, aber es stimmt natürlich und könnte ja vielleicht ein Hebel sein, ein Umdenken auszulösen.
    Natürlich hast du Recht damit, dass die Betroffenen selbst für ihre Interessen kämpfen und Druck machen müssen, sonst wird gar nichts passieren. Leider scheint ihnen das aus verschiedenen, nachvollziehbaren Gründen (moralische Skrupel, einfach zuviel Überlastung, so dass keine Energie mehr für das Eintreten für eigene Interessen bleibt usw.) ja aber sehr schwerzufallen, und deshalb ist es wichtig, dass der Druck auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen kommt.

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