Frauenliteratur
Der
Roman „Die Liebe im Ernstfall“ von Daniela Krien ist eines der
Erfolgsbücher dieses Jahres, es stand monatelang auf den
Bestsellerlisten. Es hat sich nicht nur bestens verkauft, es wurde
auch von der Kritik mit Begeisterung aufgenommen
Mir ist
das ein Rätsel. Mir hat das Buch überhaupt nicht gefallen. Ich fand
es langweilig, klischeehaft, sprachlich, nun ja, anspruchslos,
stellenweise kitschig. Die Protagonistinnen haben mich völlig
kaltgelassen. Alles kam mir unglaublich bekannt und abgenudelt vor,
alles hatte ich so oder so ähnlich schon oft gehört oder gelesen.
Auch in
meiner Literaturgruppe ist das Buch durchgefallen, aus mehr oder
weniger den gleichen Gründen. Das ist bemerkenswert, weil wir uns
sonst nie einig sind.
Was ist
da also los? Warum wurde dieses Buch von der Kritik so einhellig
gelobt? Warum waren sich da alle einig?
Ich habe
einen Verdacht. Einen bösen Verdacht.
Könnte
es sein, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird? Dass das Buch
von Daniela Krien über „fünf Frauen, die das Leben beugt, aber
keinesfalls bricht“ (Klappentext) sozusagen als Genreliteratur
gelesen wurde? Genauer gesagt, als „Frauenroman“? Und als solcher
nach anderen Kriterien bewertet wurde als Romane, die nicht derartig
zuzuordnen sind?
Einige
der Rezensionen legen das nahe. In der Taz bezeichnet Anja Maier das
Buch explizit als „Frauenroman im allerbesten Sinn“, der sich mit
allem beschäftige, „was zum Leben von Frauen dazugehört. Männer
natürlich, Kinder allermeist, Jobs und Kollegen, auch Pferde spielen
eine Rolle. Und immer wieder: die Liebe.“ Außerdem bescheinigt sie
dem Roman eine hohe „Anschlussfähigkeit“, da einem jedes der
erzählten Leben in „verblüffend authentisch beschriebenen
Einzelteilen“ bekannt vorkomme. Ich möchte eigentlich keine Bücher
lesen, die allseits anschlussfähig sind und in denen mir alles
bekannt vorkommt. Da kann ich ja gleich die Kolumnen in irgendwelchen
Frauenzeitschriften lesen, wenn ich nur dieses wohlige Gefühl haben
will, ach ja, wie schön, ich bin nicht die einzige, der das so
geht, da kann man eben nichts machen, so ist das Leben. Oder so.
Frauenromane im nicht ganz „allerbesten“ Sinn erfüllen
allerdings auch genau diese Funktion.
Rainer
Moritz, der das Buch für die NZZ rezensiert hat, sind die allesamt
„selbstbewussten, eigenwilligen Charaktere“ aufgefallen, die
„privat wie beruflich einiges zu schultern hatten und haben“.
Derart paternalistische Sätze sind mir sonst eher aus den
Besprechungen von Kinderbüchern vertraut, besonders von Büchern,
in denen es um „starke Mädchen“ geht, die dann eben in der
Schule oder im Fußballverein einiges zu schultern haben. Männliche
Protagonisten werden nie und nimmer so beschrieben. Die
mitschwingende Herablassung ist womöglich unbewusst, genauso wie die
verschwiemelte Koketterie in der Beobachtung, dass nicht nur „die
gesellschaftlichen Widrigkeiten“, sondern auch „die nicht kleiner
werdende Unfähigkeit der Männer, Selbstgerechtigkeit und Egozentrik
hintanzustellen“ den Frauen das Leben schwer machen. Ein derartig
gönnerhafter, dabei auch noch pseudo-selbstkritischer Ton wäre in
einer ernsthaften Kritik eines ernsthaften Romans wohl kaum denkbar.
Dazu
passt, dass der Rezensent den Roman als formal nicht besonders
anspruchsvoll empfindet, dies aber durchaus als Pluspunkt wertet,
denn „dieser primär nicht an erzählerischen Innovationen
interessierte Roman“ überzeuge mehr „als viele ambitionierter
auftretende Texte“ und sei ein durchaus „intelligent
unterhaltender Roman“.
So sieht
das auch Denis Scheck. Er lobt den „gleichermaßen unterhaltsamen
wie psychologisch klugen Roman“ und bezeichnet ihn als ideale
Ferienlektüre. Alles klar. Allzu anstrengend oder stilistisch gewagt
sollte ein gelungener Frauenroman eben nicht sein.
Zusammengefasst:
die Kritik lobt das Buch. Der Ton, in dem dieses Lob zumindest in
einigen Rezensionen formuliert wird, hinterlässt aber einen
seltsamen Nachgeschmack. Er ist wohlwollend, dabei aber subtil
herablassend. Für einen Frauenroman, so der Subtext, ist das Buch
ziemlich gut.
Das
Problem ist: das Buch riskiert tatsächlich nichts. Weder formal noch
inhaltlich. Es bewegt nicht, irritiert nicht, überrascht nicht
einmal, es fordert nicht heraus, wirft keine nicht schon zigmal
gestellten Fragen auf, es ist leicht zu lesen und kein bisschen
sperrig, es ist tatsächlich enorm anschlussfähig. Man könnte auch
sagen: es ist bescheiden. Es fügt sich. Es bleibt in dem Rahmen, der
für Frauenromane vorgesehen ist. Thematisch und stilistisch.
Und ich
frage mich nun: könnte es sein, dass hier, vermutlich nicht ganz auf
der bewussten Ebene, alte Hierarchien und Denkstrukturen am Werk
sind? Dass der Roman von Daniela Krien in gewisser Weise „geschont“
wird, weil hier eine Frau im wesentlichen über Frauen und die Liebe
schreibt und dabei weder inhaltlich noch formal eine Herausforderung
wagt? Natürlich ist das Buch auch kein trivialer Unterhaltungsroman.
Aber ist das allein schon ein Grund für durchweg gute Kritiken? Und
könnten die durchweg guten Kritiken allein nicht schon ein Grund zum
Misstrauen sein?
Natürlich
wünsche ich mir nicht die Zeiten zurück, als Bücher von und über
Frauen offen abgewertet und als unwichtig abgetan werden konnten,
ganz unabhängig von ihrer literarischen Qualität, einfach weil das,
was Frauen zu sagen hatten, nicht zählte. Wenn jetzt aber
stattdessen Romane wohlwollend durchgewunken werden, weil sie von
Frauen geschrieben wurden und es um Frauen geht (also nicht ums große
Ganze), könnte es sich durchaus um eine verdeckte Variante alter
misogyner Denkmuster handeln.
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