Zimtaroma







Jedes Jahr dasselbe Theater. Der Herbst geht in den Winter über, und in Frauenzeitschriften und Werbeanzeigen häufen sich die Botschaften: Du musst es dir schön kuschelig machen! Gönn dir einen Wellnesstag! Ein Verwöhnprogramm für Körper und Seele! Ein „Fest für die Sinne“ in der Badewanne mit einem Pflegeschaumbad, das „Glückliche Auszeit“ oder “Besinnlichkeit“ heißt.



Die Kosmetikindustrie bietet eine Riesenauswahl der offenbar zum Wohlfühlen nötigen Produkte an, jede Menge verwöhnender Cremes, Duschgels und Badezusätze. Hinzu kommen all die Tees, die Glück und Harmonie und Frauenwohl verheißen, all die Vanilleduftkerzen , all die kuscheligen Deko-Elemente, mit denen frau es sich im Herbst zu Hause schön machen soll.



Warum ist das so? Warum scheinen all diese Verwöhnprogramme und Wellnesstipps und die dazu gehörigen Produkte für viele Frauen so attraktiv zu sein? Warum reden so viele Frauen davon, dass sie sich endlich mal wieder was Gutes tun müssen? Und warum posten zum Beispiel auf Instagram so viele Frauen idyllische Stillleben aus Büchern, dampfenden Teetassen und Wolldecken?



Ich kann mich davon nicht ausnehmen: ich habe einen ausgeprägten Kerzenfimmel, der sich im Herbst verstärkt, ich liege sehr gern in der Badewanne und kaufe auch gern Badezusätze, die mir Entspannung versprechen. Ich muss mich sogar jeden Herbst gegen die Versuchung wehren, doch mal wieder die alten Stricknadeln rauszukramen und mir einen richtig schönen kuscheligen Schal zu stricken. Und das hat alles mit der Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit zu tun, mit dem Wunsch, dem kalten Alltag da draußen zu entfliehen und sich zu Hause wohlig einzuspinnen.



Aber warum scheinen fast nur Frauen diese Sehnsüchte zu haben? Duschgele für Männer haben so Namen wie „Powershower“, „Kick Off“ oder „Rough Nature“. Die meisten Männer, die ich kenne legen sich kaum je in die Badewanne, kaufen auch keine Duftkerzen oder Tee mit Zimtaroma.



Sind Frauen also bedürftiger als Männer? Nicht unbedingt. Auch Männer brauchen mal eine Auszeit von Job- und Alltagsstress. Was sie nicht so offensichtlich zu brauchen scheinen (was ihnen zumindest von Medien und Werbung kaum offeriert wird) ist eine heimelige Gegenwelt, in der sie Zuflucht finden vor den Zumutungen des Lebens da draußen, in der alles weich, warm, harmonisch und kuschelig ist.



Das könnte zum einen daran liegen, dass unsere Gesellschaft solche Sehnsüchte für Männer immer noch nicht vorsieht. Dass sie nicht akzeptabel sind, und dass das schon kleine Jungs lernen. Sie widersprechen dem Bild vom männlichen Wesen als einsamer Kämpfernatur. Starke Männer brauchen kein Kuschelprogramm, kein Wellnessgedöns. Also fühlen sie nicht, was sie nicht fühlen dürfen. Das wäre die eine Erklärung.



Die andere wäre, dass sie das auch gar nicht so sehr fühlen müssen. Weil wir in einer gesellschaftlichen Ordnung leben, die darauf ausgerichtet ist, ihnen das zu ersparen. In der Frauen immer noch, wie Rousseau im 19. Jahrhundert formulierte, dafür zuständig sind „das Leben zu verschönern und zu versüßen“. Für ein anheimelndes Zuhause also, für Mütterlichkeit, Zärtlichkeit, Fürsorge, Geborgenheit. In dem Punkt hat sich, obwohl inzwischen fast alle Frauen auch berufstätig sind, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bis heute kaum verändert.



Und Frauen sind ja nicht nur privat zuständig für diesen Bereich. Im Berufsleben werden sie gelobt für ihre „soft skills“: Frauen können ja so gut zuhören, sind kommunikativ und verständnisvoll, bringen auch mal selbstgebackene Kekse oder Blumen mit und sorgen für ein angenehmes Arbeitsklima. Und lächeln viel. Wenn nicht, das kenne ich nur zu gut, kommen prompt Sprüche wie „guck nicht so finster“, „lächel doch mal“. Frauen sind also dazu da, dass alle sich wohlfühlen.


Und auch wenn nicht alle Frauen diesen Erwartungen tatsächlich entsprechen – die Aufteilung ist gesellschaftlich tief verankert. Es ist immer noch Teil des „patriarchalischen gesellschaftlichen Arrangements“, schreibt Kate Manne in ihrem Buch „Down Girl. Die Logik der Misogynie“, dass Frauen etwas geben müssen, und zwar „Zuwendung, Fürsorge, Mitgefühl, Respekt, Bewunderung und Hege und Pflege“. Und auch, dass „der Mann Anspruch auf einen Großteil dieser moralischen Güter hat“, darauf, dass seine entsprechenden Bedürfnisse erfüllt werden. Misogynie versteht Manne als „feindseliges Kraftfeld“ mit der Funktion, diese Ansprüche durchzusetzen und die patriarchalische Ordnung aufrechtzuerhalten.



Solange diese Ordnung mit ihrer Ungleichheit des Gebens und Nehmens besteht, solange also Frauen gesellschaftlich zuständig sind für alles, was mit dem „Verschönern und Versüßen“ des Lebens zu tun hat, solange werden sie wohl eine größere Sehnsucht danach empfinden, sich auch mal selbst zu verwöhnen. Und da kommen dann die Pflegeschaumbäder ins Spiel, die Kräutertees und die Duftkerzen.

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