Männergewalt
Letzten Montag, am 25. November, war
der Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen. Den Tag gibt es seit
1981. Mit Veranstaltungen und Aktionen soll an das Thema erinnert
werden und dazu aufgerufen werden, Gewalt gegen Frauen zu ächten.
Seit 2001 gibt es die von Terre des Femmes initiierte Fahnenaktion
„Nein zu Gewalt an Frauen“, der sich etliche Organisationen
angeschlossen haben, in diesem Jahr wurden außerdem in vielen
Städten Rathäuser, Kirchen und Gerichte orange angestrahlt.
Das Ziel der Fahnenaktion soll es laut
Terre des Femmes sein, die Öffentlichkeit wachzurütteln und die
Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen. Und diese Gewalt ist
tatsächlich ein riesiger Skandal. Weltweit werden Frauen massenhaft
Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, Genitalverstümmelung,
Mord. Laut EU-Kommission erfährt jede dritte Frau in Europa
mindestens einmal in im Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt.
In Deutschland sind im letzten Jahr 122 Frauen von ihrem Partner oder
Ex umgebracht worden.
Das Problem ist nur: das mit dem
Aufrütteln funktioniert nicht. Zumindest nicht in Deutschland. Es
werden jede Menge „Zeichen gesetzt“ und wohlfeile Statements
abgegeben. Die Empörung bleibt aber weitgehend aus. Es gibt vor
allem Betroffenheit, formuliert von staatlichen Stellen und Parteien.
Alle finden Gewalt gegen Frauen schlimm, natürlich, da gibt es keine
zwei Meinungen. Es gibt keine Debatte, keine leidenschaftliche
gesellschaftliche Auseinandersetzung, anders als bei Themen wie
Abtreibung, Kopftuch, Quote.
In anderen Ländern sieht das anders
aus. In Frankreich zum Beispiel sind schon am Wochenende vorher
zehntausende von Frauen auf die Straße gegangen und haben mehr
Schutz und strengere Gesetze gefordert. Gewalt gegen Frauen und
Diskriminierung sind dort aktuell ein riesiges Thema in Medien und
Politik. Auch in Rom haben am Samstag zehntausende demonstriert.
In Deutschland dagegen bleibt es ruhig.
Kleine Demos hier und da, pflichtschuldige Berichtsartikel in den
Zeitungen, symbolische Fahnenaktionen fürs Foto auf der
Parteihomepage. Rühmliche Ausnahme ist die Taz, die das Thema auf
die Titelseite genommen und mit einem feministischen Kommentar
aufgemacht hat.
Es gibt keine Wut in Deutschland,
jedenfalls ist sie kaum zu spüren. Und das hat, glaube ich, zwei
Gründe, die miteinander zusammenhängen: Distanzierung und
Entpolitisierung. Gewalt gegen Frauen wird in Deutschland
hauptsächlich wahrgenommen als etwas, das immer nur die anderen
betrifft. Die Betroffenen eben. Die armen Opfer. Und das, so wird
angenommen, sind Menschen am sozialen Rand, aus anderen Kulturkreisen
oder gleich am anderen Ende der Welt. Ganz selten mal vielleicht auch
Frauen wie du und ich, die dann persönlich Pech gehabt haben.
Bedauerliche Einzelfälle, individuelles Schicksal, privates Unglück,
uns kann so etwas nicht passieren.
Diese Abwehr, die von der Darstellung
in den Medien und den Statements der offiziellen Stellen gefördert
wird, und die Einteilung in Betroffene, Expert*innen und alle anderen
hat dazu geführt, dass das Thema erfolgreich entpolitisiert worden
ist. Nur eine kleine Minderheit diskutiert es im Kontext von
patriarchalen Machtverhältnissen, Sexismus und Misogynie. Als Thema,
das uns alle angeht.
Dabei ist es das. Nicht nur, weil
Gewalt gegen Frauen überall vorkommt, in allen Ländern, in allen
Gesellschaftsschichten, weil es jede treffen kann. Sondern auch, weil
es, in gewisser Weise, tatsächlich jede trifft. Denn wir alle leben
in den patriarchalen Strukturen, aus denen diese Gewalt erwächst und
in denen sie fortbesteht. Die amerikanische Philosophin Kate Manne
macht den Zusammenhang in ihrem Buch „Down Girl“ sehr deutlich.
Sie schlägt vor, „Misogynie als System zu verstehen, das
innerhalb der patriarchalischen Gesellschaftsordnung dafür sorgt,
dass die Unterwerfung von Frauen durchgesetzt und kontrolliert und
die männliche Herrschaft aufrechterhalten wird“. Die „Mechanismen
zur zwangsweisen Durchsetzung patriarchalischer Normen und
Erwartungen“, die den funktionellen Kern der Misogynie ausmachen,
haben Konsequenzen für Frauen, die von „lebensbedrohlicher Gewalt
bis zu subtilen Signalen gesellschaftlicher Missbilligung“ reichen.
Mit anderen Worten: physische Gewalt ist die Spitze des Eisbergs.
Gewalt existiert in vielfältigen Formen im Geschlechterverhältnis,
von gönnerhafter Herablassung und einschüchterndem Dominanzgebaren
bis zur offen feindseligen Frauenverachtung und aggressiven
Verteidigung männlicher Privilegien.
In den 70er Jahren, als die ersten
autonomen Frauenhäuser gegründet wurden, war dieser Zusammenhang
klar. Damals beendete die Frauenbewegung das Schweigen über Gewalt
gegen Frauen, die Bagatellisierung und Leugnung. Gegen massiven
Widerstand schafften die Frauen es, das Thema aus dem Privaten ins
Politische zu holen. Deutlich wurde formuliert, dass die Grundlage
der Gewalt ein Herrschaftsverhältnis war. Die Frauenhäuser waren
nicht nur Zufluchtsorte, sondern auch Orte der Bewusstseinsbildung,
selbstverwaltete politische Experimentierräume.
Inzwischen gibt es in Deutschland rund
350 Frauenhäuser. Die Bundesregierung hat beschlossen, ab 2020
jährlich 30 Millionen Euro für den Ausbau von Frauenhäusern und
Beratungsstellen auszugeben. Das ist nicht wirklich viel Geld, aber
immerhin. Bundesfrauenministerin Franziska Giffey fordert einen
Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus. Das Problem ist nur:
die meisten Frauenhäuser sind nicht mehr autonom, sondern von
Kirchen und Wohlfahrtsverbänden betriebene Hilfseinrichtungen, in
denen sich Expertinnen um Betroffene kümmern. Der politische,
feministische Zusammenhang ist dabei weitgehend verloren gegangen.
Damit der 25. November nicht zum
folgenlosen, deprimierenden Gedenktag wird, sondern zu einem Tag, der
tatsächlich „die Öffentlichkeit aufrüttelt“ und
Veränderungsprozesse in Gang setzt, gehört das Thema unbedingt
wieder auf die politische Agenda. Als Thema, das uns alle angeht.
Gewalt gegen Frauen muss im Kontext von Machtverhältnissen, von
männlichen Privilegien und männlichem Dominanzverhalten, von
Misogynie, Sexismus und Diskriminierung diskutiert werden, nicht als
schlimmes Schicksal bedauernswerter Minderheiten. Betroffen sind wir
in Wirklichkeit alle.
Erwischt... danke für den Post, ich muss zugeben, dass auch ich das Thema sehr, viel zu sehr, aus den Augen verloren habe.
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