Pink



In Bremerhaven gibt es, das habe ich neulich der Taz entnommen, ein neues „Mutmach-Programm für Mädchen“. Es heißt Mint:Pink. Die Taz hat sich prompt darüber lustig gemacht. Und ich hab auch erst mal innerlich aufgestöhnt. Geht ja gar nicht, ist ja peinlich, ausgerechnet pink nun wieder, so ein pinkes Mädchending.



Für alle, die bisher nur Bahnhof verstehen: Mint steht für Schul- und Studienfächer aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Fächer also, die bei Mädchen und jungen Frauen nicht so beliebt sind. Das Programm soll Schülerinnen ab der neunten Klasse ermutigen, die Naturwissenschaften für sich zu entdecken. Die Mädchen besuchen Forschungslabore, sprechen mit Ingenieurinnen und Informatikerinnen über ihre Arbeit, lernen in Workshops programmieren oder bauen ein Spektroskop. Klingt eigentlich gar nicht schlecht.



Woher also mein Unbehagen, mein Impuls, mich sofort wie die Taz ironisch zu distanzieren. Nur wegen des Namens? Und wenn ja, ist der wirklich so schlimm? Warum habe ich als Feministin ein Problem mit einem Programm, das Mädchen fördern will? Was genau irritiert mich?



Ein Grund könnte schiere Frustration sein: Mädchen und Frauen sind unterrepräsentiert in Mathe und vielen der naturwissenschaftlichen Fächer, das wird seit Jahren beklagt, und seit Jahren wird versucht, das mit irgendwelchen Programmen zu ändern. Bisher mit sehr mäßigem Erfolg.



Sollten wir das also vielleicht einfach lassen mit den Programmen? Müssen unbedingt mehr Frauen Mathe oder Physik studieren? Oder eine technische Ausbildung machen? Wenn sie doch offenbar einfach nicht wollen?



Ja, sagt die Wirtschaft, sie müssen: wir brauchen sie. Wir können nicht auf das weibliche Potential verzichten. Es herrscht Fachkräftemangel bei den Mint-Berufen, es gibt nicht genug Ingenieur*innen, Techniker*innen, IT-Kräfte. Und das heißt auch: Absolventen und Absolventinnen entsprechender Ausbildungen oder Studiengänge haben sehr gute Berufsaussichten. Wäre doch schade, wenn Frauen nicht davon profitieren würden.



Und außerdem: die große Unausgewogenheit stimmt mich misstrauisch. Ich finde zwar nicht, dass unbedingt überall komplette Geschlechterparität herrschen muss. Komplette Chancengleichheit aber schon. Und nicht nur formal. Ich finde, anders gesagt, dass es für eine junge Frau so selbstverständlich sein sollte, Informatik zu studieren wie für einen jungen Mann.



Und genau das, lässt sich schnell herausfinden, ist nicht der Fall. Es gibt sehr wohl Hürden, die Frauen daran hindern, sich den Mint-Fächern zu widmen.



In einem Bildungsbericht der OECD war vor einiger Zeit zu lesen, dass sich 39 Prozent der Eltern in Deutschland vorstellen können, dass ihre Söhne mal in einem naturwissenschaftlich-technischen Beruf arbeiten. Bei ihren Töchtern konnten sich das nur 14 Prozent vorstellen. Dazu passt, dass Mädchen viel häufiger angeben, nicht gut in Mathe zu sein, auch wenn sie in entsprechenden Tests nicht schlechter abgeschnitten haben.



Bereits sechsjährige Mädchen bringen „Brillanz“ eher mit Männern in Verbindung als mit dem eigenen Geschlecht und beginnen, Aktivitäten zu meiden, für die man angeblich „sehr, sehr klug“ sein muss. Mathe zum Beispiel. Für Mathe, so die allgemeine Vorstellung, muss man ein Genie sein. Und Genies sind männlich.



Mit zunehmendem Alter wirken diese Stereotype immer stärker. Bittet man Fünf- bis Achtjährige, eine forschende Person zu malen, kommen dabei fast genauso viele Frauen wie Männer aufs Bild. Bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 15 sind es dann nur noch 25 Prozent Frauen.


Angesichts dieser Statistiken spricht doch einiges dafür, Programme zu entwickeln, die der Wirkmächtigkeit alter Geschlechterstereotypen entgegenwirken. Wir brauchen vielleicht sogar mehr davon, auf jeden Fall müssten sie konsequent, kontinuierlich und flächendeckend eingesetzt werden, von der Kita bis zur Uni, so eine Art konzertierte Aktion.



Bleibt die Frage des Namens. Mint:Pink. Klingt einerseits cooler als „Mutmach-Programm für starke Mädchen“ oder so. Andererseits schwer nach Gendermarketing. Für Mädchen muss eben immer alles in pink sein, sonst fühlen sie sich nicht wohl. Diese Geschlechterklischees zu übernehmen und damit zu verstärken ist keine gute Idee für ein emanzipatorisches Projekt und könnte nach hinten losgehen.



Natürlich kann ein Mädchen sich die Fingernägel pink lackieren und gleichzeitig gut in Mathe sein, keine Frage. Und das soll der Name ja vermutlich vermitteln: dass sie sich auf die Mint:Fächer einlassen und trotzdem „ganz normale Mädchen“ bleiben können, was in der Pubertät sehr wichtig ist und insofern keine falsche Botschaft wäre.



Das Problem ist nur, dass „ganz normale Mädchen“ in unserer Gesellschaft nicht besonders ernst genommen werden, und zwar besonders dann nicht, wenn ihre angeblich unausweichliche Vorliebe für pink betont wird. Denn da schwingt so einiges mit, von Einhörnern und Prinzessinnen bis Barbie, was in der männlichen Mehrheitskultur nicht gerade hoch angesehen ist. Die Festlegung aufs Pinke kann dazu dienen, Mädchen zu verniedlichen und damit kleinzumachen.



Und deshalb finde ich es gefährlich, einen Namen wie Mint:Pink zu wählen. Klar, theoretisch könnten sich Mädchen das Etikett „pink“ selbstbewusst zu eigen machen und für ihr eigenes Empowerment nutzen. Vermutlich ist es das, was das Programm mit diesem Namen anstrebt. Ich fürchte nur, es funktioniert nicht, weil die Assoziationskette pink = Mädchen = niedlich = nicht ernst zu nehmen sehr wirkmächtig und nicht so leicht aufzubrechen ist.




Kommentare

  1. ...und wenn sie auf glitzernden Einhörnern abgeholt werden - Hauptsache es funktioniert. Zum Thema Pink später mehr —> Sink the Pink

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts

Abonnieren

* indicates required