Sex, Lies & Money
Neulich habe ich im Wirtschaftsteil,
kurz nacheinander, zwei aufschlussreiche Artikel über Studien zum
Thema Geld gelesen. Zum Thema Geld in heterosexuellen Beziehungen,
genauer gesagt. Es ging jeweils darum, wer welches Einkommen erzielt
in einer Partnerschaft und was das bedeutet. In der ersten Studie, in
der nur Männer befragt wurden, fanden die Wissenschaftler*innen
heraus, dass es Männer sehr unter Stress setzt, ganz allein für das
Haushaltseinkommen der Familie zuständig zu sein. Dass es sie aber
noch viel mehr stresst und ängstigt, wenn ihre Frau mehr als 40
Prozent zum gemeinsamen Einkommen beisteuert.
Die andere Studie hat amtliche
Einkommensdaten mit Umfragedaten verglichen und kommt zu dem
Ergebnis, dass in Umfragen bei heterosexuellen Paaren regelmäßig
gelogen wird, was das Einkommen angeht. Wenn die Frau in Wirklichkeit
mehr verdient als der Mann, wird sein Einkommen systematisch zu hoch
angegeben, und zwar von beiden.
Wirklich überraschend finde ich nicht,
was die Wissenschaftler*innen hier herausgefunden haben. Es
entspricht meiner Alltagsbeobachtung. Geld ist ein heikles Thema in
vielen Beziehungen. Und aller weit verbreiteten Beteuerungen zum
Trotz, man wolle sich alle Aufgaben gleichberechtigt teilen, auch
wenn Kinder da sind, ist es ja so, dass fast immer die Frauen länger
Elternzeit nehmen und danach in Teilzeit arbeiten. Oft mit der
Begründung, der Mann würde ja nun mal mehr verdienen. Und dass das
Ehegattensplitting aus Angst vor der bürgerlichen Wähler*innenschaft
immer noch nicht abgeschafft worden ist, spricht ja auch Bände.
Die gelebte gesellschaftliche Realität
hinkt also dem öffentlichen Gleichheitsdiskurs hinterher. Der Mann,
so scheint es, muss (wenigstens ein bisschen) mehr verdienen als die
Frau, sonst ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Und das scheint für
Männer und Frauen zu gelten. Sehr lange war das ja der Deal zwischen
den Geschlechtern: der Mann sorgt für das Einkommen, die Frau sorgt
für die Familie und den Haushalt. Der Deal – der ja nie ein Deal
auf Augenhöhe war – ist mehr oder weniger aufgekündigt, aber er
wirkt noch nach.
Woran liegt das? Ich glaube, zum Teil
einfach daran, dass wirkliche Veränderungen sehr lange brauchen.
Dass in uns allen Handlungs-, Denk- und vor allem Gefühlsmuster
wirken, die nicht im kognitiven Wissen gespeichert und dem
Bewusstsein schwer zugänglich sind, und die als Beharrungskräfte
oft bewusst gewollten Veränderungen entgegen stehen. Als ich ein
Kind war, waren noch fast alle Frauen Hausfrauen und nicht
berufstätig. Noch bis 1977 war im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt,
dass Frauen nur erwerbstätig sein durften, „soweit dies mit ihren
Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war. Und die Entscheidung
darüber, ob dies so war, lag beim Mann. Seitdem hat sich zwar
einiges geändert, aber die alten Geschlechterstereotypen wie die
„männliche Ernährernorm“ spuken noch in den Köpfen herum. Die
von Ulrich Beck schon 1986 beschriebene „verbale Aufgeschlossenheit
bei weitgehender Verhaltensstarre“ der Männer angesichts
weiblicher Emanzipationsbestrebungen ist nur die Spitze des Eisbergs.
Denn es geht nicht nur ums Verhalten, sondern auch um unbewusst, auch
über den Körper, erworbene Normen und Werte, um den ganzen sozialen
Habitus, dessen Konstanz, so sieht es auch Pierre Bourdieu, „einer
der wichtigsten Faktoren für die relative Konstanz der Struktur der
geschlechtlichen Arbeitsteilung“ ist – und damit für die
Aufrechterhaltung der männlichen Herrschaft.
Womit wir beim Kern des Ganzen wären.
Denn was hier immer noch wirkmächtig ist, sind ja nicht
irgendwelche Rollenmuster, nicht irgendeine zufällig entstandene
Arbeitsteilung. Was wirkmächtig ist, ist die Vorstellung einer
natürlichen Geschlechterhierarchie, einer naturgegebenen männlichen
Überlegenheit. Die Grundvorstellung der patriarchal strukturierten
Gesellschaft also. Alle Männer, manche mehr, manche weniger,
partizipieren an der „patriarchalen Dividende“, der „schon im
Kindes- und Jugendalter eingeübten Haltung, dass der Mann „im
Grunde“ doch der Frau überlegen sei, egal ob das der Überprüfung
durch die soziale Wirklichkeit standhält“, so der Soziologe Lothar
Böhnisch. Er schreibt allerdings auch, dass mit dem
gesellschaftlichen Aufstieg der Frau deutlich geworden sei, dass „die
Stärke des Mannes lange Zeit an die behauptete Schwäche der Frau
gebunden war und mit der weiblichen Emanzipation ihre selbst
behauptete und darin tradierte Legitimation verliert.“ Es wird also
gefährlich. Die Vorstellung von der männlichen Überlegenheit ist
arg ins Wackeln gekommen.
Männerforscher Walter Hollstein sieht
denn auch eine männliche Identität bedroht, die sich „seit
Jahrhunderten primär über Arbeitsleistung bestimmt“, dies
„verunsichert ein männliches Selbstwertgefühl, das seine Energie
aus dem Wissen bezogen hat, für die eigene Familie verantwortlich zu
sein“. Brechen so die „die Grundfesten von Männlichkeit“ weg,
ist das für ihn ein Vorgang, der „gar nicht dramatisch genug
geschildert“ werden kann, denn, so meint er, das soziale
Verständnis von Männlichkeit sei immer noch zentral an der
Erwerbsarbeit festgemacht.
Jenseits all des Gejammers über den
„Emanzipationsverlierer Mann“: das stimmt vermutlich. Die Frage
ist nur, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Ob es nicht an der
Zeit ist, sich von diesem Männlichkeitsverständnis endgültig zu
verabschieden und auf die „patriarchale Dividende“ zu verzichten
– mit der Chance, sich größere Freiräume in der eigenen
Lebensgestaltung zu verschaffen. Klar ist das nicht leicht, aber ich
denke, der Weg zurück ist versperrt, die alten Männlichkeitsmuster
werden nicht ernsthaft wieder belebt werden können.
Die Destabilisierung der
Geschlechterverhältnisse ist eine Herausforderung, die
Unsicherheiten mit sich bringt, für Männer und für Frauen. Der
Veränderungsprozess ist voll in Gang, er ist konfliktreich und er
braucht Zeit. Und es gibt Widerstand, reaktionäre Kräfte, die das
Rad ganz zurückdrehen wollen. Alle, die darauf nicht hereinfallen,
müssen sich der Herausforderung stellen. Jedes heterosexuelle Paar
muss herausfinden und aushandeln, wie der gemeinsame Lebensentwurf
aussehen soll. Das ist anstrengend und nicht immer einfach. Das kann
auch Ängste auslösen. Da kann es manchmal verlockend wirken, sich
in alte Muster zu flüchten. Die Fiktion der männlichen
Überlegenheit aufrechtzuerhalten, weil ungewiss ist, was an ihre
Stelle treten könnte. Oder weil andernfalls misogyne Feindseligkeit
und Vergeltung drohen von Männern, die von dieser Fiktion nicht
lassen wollen. Dann wird eben mal in Umfragen gelogen. Diese Reaktion
ist aber natürlich eine Flucht in die Regression, eine Flucht vor
schmerzhaften Konflikten, eine Flucht auch vor der Freiheit, die die
neue Geschlechterordnung bereithält – und zwar für alle.
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