Schönheit
Neulich habe ich mir eine Ausstellung
angesehen, die mich nachhaltig verstört hat. Unter dem Titel „Making
Feminism“ wurden Bilder der südafrikanischen Fotografin Jodi
Bieber im Syker Vorwerk (nicht weit von Bremen) gezeigt.
Die Ausstellung bestand aus drei
Bilderzyklen, von denen ich mich hier aber nur mit zweien
beschäftigen will: „Real Beauty“ und „Quiet“. Sie zeigen
laut Katalogtext „die langjährige Auseinandersetzung der
Künstlerin mit Fragen zur Geschlechteridentität und zur
Geschlechterkonstruktion und der daraus resultierenden Frage, welches
Verhältnis wir im Zeitalter der Medien zu unserem eigenen Körper
haben“.
Die Ausstellung beginnt im Erdgeschoss
mit dem Zyklus „Quiet“. Fotos von fast nackten Männern, in
Unterhose, in ihrer häuslichen Umgebung. Die Bilder strahlen
tatsächlich in erster Linie Ruhe aus. So verschieden die
abgebildeten Männer auch aussehen, sie sitzen oder stehen ganz
ruhig, gucken in die Kamera oder oft auch nicht, blicken versonnen zu
Boden. Sie sind ganz bei sich, so wirkt es jedenfalls, und sie haben
mich berührt. Sie sind einfach da, mehr oder wenige nackte Menschen,
Männer, die nichts besonderes darstellen, nicht posieren, sich nicht
verstecken oder verstellen. Sie zeigen sich, sie wirken verletzlich,
aber nicht schwach. Einfach menschlich. Auf sich selbst konzentriert
und ganz bei sich. Was vielleicht mit der Frage zusammenhängt, die
ihnen Bieber vor dem Fotografieren stellte: Wer bist du auf dieser
Welt?
Im ersten Stock geht es weiter mit der
Serie „Real Beauty“. Sehr schnell fühle ich mich unwohl. Wie die
Männer tragen die Frauen nur Unterwäsche, wie sie sind sie in ihrer
privaten Umgebung aufgenommen worden. Was ist der Unterschied? Warum
fühle ich mich so unbehaglich? Ich habe das Gefühl, dass auch die
meisten Frauen auf den Bildern sich unbehaglich fühlen. Reine
Projektion? Sie wirken auf mich nicht entspannt. Sie posieren. Sie
sind nicht einfach da, einfach sie selbst, sie wollen etwas
darstellen, so kommt es mir vor, und es gelingt ihnen nicht wirklich.
Für mich ist es schmerzhaft, mir diese Bilder anzusehen.
Es geht um Schönheit auf diesen
Bildern, und ich glaube, das ist das Problem. Was Bieber sich
vorgenommen hat, ist „eine Untersuchung des Schönheitsbegriffs aus
der heterogenen Perspektive der südafrikanischen Frauen.“ Dazu hat
sie Frauen zu ihrer persönlichen Sicht zum Thema (eigener) Schönheit
befragt und sie anschließend fotografiert. Im Begleitheft schreibt
sie: „Ich hatte das starke Bedürfnis, ein Werk zu schaffen, das
dem widerspricht, was die Medien als schön darstellen.“
Was, frage ich mich, heißt in diesem
Zusammenhang „widerspricht“? Es kann ja einerseits bedeuten,
einfach Bilder von Frauen zu zeigen, die nicht den normierten
Schönheitsvorstellungen entsprechen. Das hat Bieber auf jeden Fall
getan. Die abgebildeten Frauen sehen ganz verschieden aus, haben
verschiedene Hautfarben und Körperformen, sind unterschiedlich alt.
Sie sind nicht „makellos“. Genauso wenig wie die Männer im
Erdgeschoss. Hier aber, und das ist der Unterschied, geht es nicht
nur darum, einfach Menschen zu zeigen, in all ihrer
Unterschiedlichkeit. Sondern es geht, so verstehe ich Biebers
Statement, auch darum zu behaupten, all diese Menschen seien schön.
Ich finde die Frauen aber nicht schön.
Was mir natürlich Schuldgefühle macht: was bin ich für eine
schlechte Feministin! Gefangen in den gesellschaftlich vorgegebenen
Beurteilungsstandards weiblicher Schönheit! Was sicher ein Teil der
Wahrheit ist. Ich habe mich bei einem sehr kritischen, streng
urteilenden Blick ertappt, ein Blick, den wir alle kennen, den wir
zuallererst auf uns selbst werfen, aber natürlich auch auf andere
Frauen. Ich fand die Frauen aber, glaube ich, auch deshalb nicht
schön, weil viele ihrer Posen sehr an gängige Inszenierungen
weiblicher Schönheit erinnerten, deren Glanz und Perfektion sie aber
nicht erreichen konnten. Stattdessen vermittelten sie eine
Ausstrahlung aus trotzigem Stolz, Verlegenheit und Zweifeln. So, als
ob die Frauen um jeden Preis behaupten wollten, schön zu sein, es
aber doch nicht zu glauben wagten. Dieser Eindruck wird untermauert
von den im Begleitheft abgedruckten Aussagen, in denen viel von
„Hassliebe“ zum eigenen Körper die Rede ist, von dem Kampf
darum, ihn zu akzeptieren mit all seinen „Fehlern“, von der
Notwendigkeit und der Anstrengung, sich selbst zu lieben und schön
zu finden.
Ich frage mich, ob nicht sowohl mein
Blick als auch die Ausstrahlung der Frauen ganz anders gewesen
wären, wenn die Frauen, wie die Männer, mit der Fragestellung „wer
bist du auf dieser Welt“ fotografiert worden wären. Ich frage
mich, warum zum Teufel es bei Frauen eigentlich immer um Schönheit
gehen muss. Ich frage mich, ob nicht solche Ausstellungen, ihrer
kritischen Intention zum Trotz, Frauen immer wieder in die
Schönheitsfalle jagen. Ob es nicht sinnvoller wäre, das
Schönheitsthema endlich mal zu ignorieren, statt sich endlos daran
abzuarbeiten.
Mir ist schon klar, dass das nicht so
leicht ist. Trotz aller Kämpfe der Frauenbewegung dagegen ist die
Macht des Schönheitswahns ungebrochen, und das Patriarchat sorgt
dafür, dass das so bleibt. Mit sexistischen Sprüchen und Witzen,
mit Hasskommentaren in den sozialen Medien, wenn Frauen sich an die
Öffentlichkeit wagen, die den Schönheitsstandards nicht
entsprechen. Mit Vergewaltigungsdrohungen, wenn Frauen sich mit
Haaren an den Beinen für Werbefotos aufnehmen lassen. Mit
widerlichen Artikeln in Publikumszeitschriften, in denen
Schauspielerinnen an den Pranger gestellt werden, weil sie drei Kilo
zugenommen oder das „falsche“ Kleid angezogen haben. Mit der
geballten Macht der Werbe- und Kosmetikindustrie, die Frauen
weismacht, sie müssten ihr Äußeres permanent optimieren, weil es
sonst nicht akzeptabel ist.
Angesichts dieser rigiden,
disziplinierenden Standards scheint eine Ausstellung wie die von Jodi
Bieber durchaus kritisches Potential zu haben. Sie entspricht
ziemlich genau dem Ansatz, den auch die viel diskutierte Bewegung der
Body Positivity verfolgt. Eine Bewegung, die schon lange den Kampf
führt gegen Fat Shaming und für Körperakzeptanz, die sich aber vor
allem in den letzten Jahren massiv als Trend in den sozialen Medien
durchgesetzt hat und die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, die
Definition von Schönheit zu erweitern. Die Botschaft, kurz gesagt:
alle Menschen sind schön. Jede Frau hat das Recht, sich schön zu
nennen. Sie muss dazu nicht den gesellschaftlich vorherrschenden
unrealistischen und diskriminierenden Schönheitsidealen entsprechen.
Schönheit als ein Akt der Selbstermächtigung.
Und da bin ich wieder bei meinem
Unbehagen. Ich habe Zweifel daran, dass dieser Ansatz funktioniert.
Denn Body Positivity hat zwar ein befreiendes Element, indem sie an
den immer rigider werdenden Attraktivitätssnormen rüttelt und den
Sinn der ewigen Selbstoptimierung und Selbstkasteiung im Dienste der
Schönheit in Frage stellt. Was sie jedoch nicht in Frage stellt, ist
die Bedeutung von Schönheit überhaupt. Und das finde ich
problematisch. Die Behauptung „jede Frau ist schön“ mag zwar von
der physischen Arbeit an der Schönheit befreien, von Diäten,
Fitnessanstrengungen und dergleichen. Sie stellt aber die Prämisse
„jede Frau muss schön sein“ nicht in Frage, im Gegenteil. Und
sie zwingt Frauen damit zu einer anderen Art Arbeit, zur psychischen
Arbeit an der Selbstliebe, deren stillschweigende Voraussetzung, mal
wieder, die Schönheit sein soll.
Wieder eine Aufgabe also, die Energien
bindet. Und die kaum zu erfüllen ist. Denn, ganz abgesehen von
rigiden, der Disziplinierung dienenden Attraktivitätsstandards: Die
schmerzhafte Wahrheit ist doch, dass eben nicht jeder Mensch schön
ist. Schönheit ist ungleich verteilt, ist nicht demokratisch. Auch deshalb kann der Satz „jede Frau
ist schön“, der als Ermächtigung gemeint ist, auch zur Fessel
werden. Und der Besuch einer Ausstellung, in der es um weibliche
Schönheit geht, zur Quälerei.
Immerhin, das muss ich zugeben, hat
die Ausstellung einiges ausgelöst in mir. Sie hat mich irritiert und
provoziert, und sie hat Fragen aufgeworfen, an denen ich noch
herumkaue. Falls ihr mal in der Gegend seid: sie läuft leider nur
noch bis zum bis 2. Februar.
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